dear diary

Das Refe­ren­da­ri­at als wun­der­ba­rer Moment

Anlass zu die­sem Bei­trag ist der Auf­ruf zur Blog­pa­ra­de #refis­be­li­ke – „Ein wun­der­ba­rer Moment im Refe­ren­da­ri­at“ von Bob Blume.

Ich habe lan­ge dar­über nach­ge­dacht, wel­cher Moment in mei­nem inzwi­schen neun Jah­re zurück­lie­gen­den Refe­ren­da­ri­at mir als so beson­ders in Erin­ne­rung geblie­ben ist, dass er als „wun­der­bar“ in die­ser Blog­pa­ra­de einen Bei­trag ver­dient. Es gibt keinen.

So merk­wür­dig (Schimp­fen auf’s Refe­ren­da­ri­at scheint ja noch immer zum guten Ton zu gehö­ren) es auch klingt: Ich habe mei­ne Refe­ren­da­ri­ats­zeit genos­sen. Nicht jede Stun­de vor die­sem anfangs frem­den Wesen Schü­ler, nicht jede Lehr­pro­be unter den Augen der Semi­nar­lei­tun­gen, aber doch, ja, unterm Strich die­se 18 Mona­te des Ler­nens, sich Erpro­bens und Findens.

Wegen mei­nes Zweit­fachs Poli­tik kam nur ent­we­der das Stu­di­en­se­mi­nar Aurich oder Cel­le infra­ge, Cel­le ist es dann gewor­den. Ich erin­ne­re mich noch an das Geflüs­ter unter den Refe­ren­da­ren am ers­ten Tag: „Hier in Cel­le sind sie beson­ders streng“, „An die­sem Semi­nar bestehen alle eine Note schlech­ter als woan­ders.“ Heu­te wet­te ich, so oder ähn­lich klingt es über­all am ers­ten Tag.

Aber in mei­ner Erin­ne­rung waren wir Anwär­ter dann schnell jeder mit sich selbst und sei­nen Klas­sen beschäf­tigt. Ich hat­te das Glück, an mei­ne Wunsch-Schu­le gekom­men zu sein1 und dort gute und enga­gier­te Men­to­ren gefun­den zu haben. Ich hat­te immer das Gefühl, mich aus­pro­bie­ren zu kön­nen ohne allein­ge­las­sen zu wer­den. Von unschätz­ba­rem Wert war aber auch ein Kol­le­gi­um, in dem man jeden jeder­zeit fra­gen konn­te und immer Hil­fe bekam.

Ein Tipp, den ich auch heu­te den Anwär­tern mit­ge­be: Nutzt die ers­ten Wochen, um in mög­lichst vie­len Klas­sen mög­lichst vie­le ver­schie­de­ne Leh­rer ken­nen­zu­ler­nen. Kaum jemand wird euch ver­wei­gern, ein­mal zuzu­schau­en, und ihr knüpft auf die­se Wei­se nicht nur schnell Kon­tak­te, son­dern fin­det viel­leicht auch zügi­ger zu eurem eige­nen Weg. Wir Leh­rer sind alle ver­schie­den in unse­rem Auf­tre­ten vor der Klas­se, in unse­ren Ansprü­chen oder in der Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung einer Stun­de. Viel­leicht liegt euch der Stil eurer Men­to­ren viel weni­ger als der der Kol­le­gin Mei­er-Schul­ze. Und ein Kol­le­gi­um, das das Gefühl bekommt, dass ihr euch inter­es­siert und enga­giert, ist in den schwe­re­ren Zei­ten – und die wird es geben – bereit­wil­li­ger eine Stütze.

Ich sel­ber habe mich etwas über­en­ga­giert in mei­ne ers­ten Lehr­pro­ben2 gestürzt. Obwohl zu Beginn nur ein soge­nann­ter „Klei­ner Ent­wurf“ (prak­tisch nur eine Beschrei­bung der Lern­aus­gangs­la­ge, das Ziel der Stun­de und der geplan­te Ver­lauf) ver­langt war, habe ich von Anfang an voll­stän­di­ge Ent­wür­fe, also auch mit Sach- metho­di­scher- und didak­ti­scher Ana­ly­se abge­ge­ben.
Mei­ne Semi­nar­lei­tun­gen waren so nett, mir nie zu sagen, ob sie mein Vor­ge­hen voll­kom­men bekloppt fan­den (wahr­schein­lich) und haben sich tat­säch­lich die Mühe gemacht, mir auch für die­se Tei­le jedes Mal eine Rück­mel­dung zu geben. Rück­bli­ckend beläch­le ich mich für die­sen Über­ei­fer, ande­rer­seits hat­te ich im drit­ten Aus­bil­dungs-Halb­jahr kei­ne Angst vor gro­ßen Ent­wür­fen und kei­ne Schwie­rig­kei­ten mit mei­nem Prü­fungs­ent­wurf.3

Die von Anwär­tern meist so gefürch­te­ten Stun­den-Nach­be­spre­chun­gen durch die Semi­nar­lei­tung waren sicher nicht immer die wun­der­bars­ten Momen­te des Refe­ren­da­ri­ats. Man­che Feh­ler (ach, das Zeit­ma­nage­ment!) haben mich die gan­ze Zeit über ver­folgt, ande­re haben sich ver­ab­schie­det, nur um heim­lich einen Freund her­ein­zu­las­sen. Mit der Zeit sind die Feh­ler weni­ger gewor­den, dafür dann halt die Ansprü­che gestie­gen.
Geblie­ben ist die Erkennt­nis, dass jede ein­zel­ne gehal­te­ne Unter­richts­stun­de anders und viel­leicht bes­ser hät­te durch­ge­führt wer­den kön­nen, und das gilt noch heu­te und muss in die­sem Beruf aus­ge­hal­ten wer­den.
Unse­re Arbeit ist nicht sta­tisch und nur in gerin­gem Umfang am nächs­ten Tag in einer ande­ren Klas­se reproduzierbar.

Die Rück­mel­de-Gesprä­che waren an mei­nem Stu­di­en­se­mi­nar klar gere­gelt und sind von allen Semi­nar­lei­tun­gen auf glei­che Wei­se4 durch­ge­führt wor­den, sodass ich immer das Gefühl hat­te, es ging fair und trans­pa­rent zu.
Ich mag es auch heu­te nicht, wenn Anwär­ter eine schlech­te Stun­de auf die ach so unge­rech­te und vor­ein­ge­nom­me­ne Semi­nar­lei­tung schie­ben. Die­ses Ver­hal­ten kön­nen Schü­ler zei­gen, wenn sie eine Arbeit ver­geigt haben, aber kei­ne ange­hen­den Leh­re­rin­nen und Lehrer.

Was ist sonst noch aus die­ser Zeit in Erin­ne­rung geblieben?

… Der erfah­re­ne Refe­ren­dar zwei Halb­jah­re über mir, der mich nicht nur bei sei­ner Prü­fung hat zuse­hen las­sen, son­dern mich mit dem Vor­bild einer Inter­net­sei­te für sei­ne Schü­ler ins Netz gebracht hat, wo ich bis heu­te geblie­ben bin.

… Semi­nar­lei­tun­gen, die Stun­den vol­ler Feh­ler gezeigt haben und die­se anschlie­ßend ganz offen mit uns betrach­tet haben.

… die Lek­tü­re von Kra­bat mit unglaub­lich chao­ti­schen und wil­den Siebt­kläss­lern und die unglaub­lich inter­es­san­ten Gesprä­che über Freund­schaft mit ihnen.

… Semi­nar-Mit­schau­en5 in Grund­schu­len im Fach Mathe­ma­tik, wo ich mir so über­flüs­sig und wenig hilf­reich vor­ge­kom­men bin wie selten.

… eine Päd­ago­gik-Semi­nar­lei­te­rin, deren gleich­zei­tig empa­thi­sche wie sach­li­che Art mir bis heu­te – all­zu oft uner­reich­tes – Vor­bild ist.

… Eine Prü­fungs­stun­de mit Mul­ti­me­dia-Ein­satz zum The­ma Kin­der­sol­da­ten, mit per­ma­nen­ter Angst vor einem Zusam­men­bruch der Tech­nik, der glück­li­cher­wei­se aus­blieb. (Es wäre sogar eine per­fek­te Stun­de gewe­sen, wenn nicht … ach, das Zeitmanagement.)

… Vie­le Stun­den, die so auf­gin­gen, wie sie geplant waren.

… Vie­le Stun­den, die über­haupt nicht so gelin­gen woll­ten, wie sie geplant waren.

… Und ganz viel Frei­raum zum Aus­pro­bie­ren und Lernen.

Mein Men­tor mein­te in den letz­ten Woche des Refe­ren­da­ri­ats zu mir, dass die schöns­te Zeit nun vor­erst vor­bei sei. Gegen die ers­ten zwei Jah­re einer Voll­zeit-Stel­le wäre dies ein Spa­zier­gang gewe­sen. Und er hat­te Recht.
So viel Zeit, Din­ge aus­zu­pro­bie­ren, Arbeits­blät­ter zu erstel­len (in Far­be!), Lern­the­ken zu ent­wi­ckeln (lami­niert!) und Stun­den zu pla­nen (in drei Vari­an­ten!) hat man nach dem Refe­ren­da­ri­at nicht so schnell wieder.

Also lau­tet mein letz­ter Tipp an alle Anwär­ter: Genießt die­se Zeit trotz allen Stres­ses und nehmt sie bewusst als Aus­bil­dung wahr. Lasst euch nicht unter­krie­gen, wenn etwas schief­geht (das wird es näm­lich auch spä­ter immer wie­der), seid mutig und pro­biert euch aus – ver­sucht nicht bloß, es euren Semi­nar­lei­tun­gen und Men­to­ren recht zu machen, son­dern for­dert sie als erfah­re­ne­re Fach­leu­te, die euch dabei hel­fen sol­len, euren eige­nen Weg in die­sen Beruf zu finden.


  1. Erfah­rungs­ge­mäß bringt es tat­säch­lich etwas, sich über die mög­li­chen Aus­bil­dungs­schu­len zu infor­mie­ren und mit der Wunsch-Schu­le Kon­takt auf­zu­neh­men. Zumin­dest an mei­ner Schu­le neh­men wir sol­che Bewer­bun­gen durch­aus ernst und ver­su­chen in Abspra­che mit dem Semi­nar, die­sen Wunsch zu erfül­len. Wir als Schu­le haben ja schließ­lich auch etwas davon.
  2. In Nie­der­sach­sen waren damals 15 Unter­richts­be­su­che durch die Päd­ago­gik- und Fach­se­mi­nar­lei­tun­gen Pflicht, dar­un­ter 4 soge­nann­te „gro­ße Besu­che“, die zen­siert und in die Prü­fungs­no­te ein­ge­rech­net wurden.
  3. Auch hier mein Tipp: Pro­biert es früh­zei­tig mal aus mit so einem gro­ßen Ent­wurf. Es ist näm­lich gar nicht so ein­fach, sich im Prü­fungs­ent­wurf auf ein­mal auf die – zumin­dest in Nie­der­sach­sen – vor­ge­ge­be­nen maxi­mal sechs Text­sei­ten zu beschränken.
  4. Ange­lehnt an Goll, Klupsch-Sah­l­mann und The­ße­ling (2002)
  5. Zur Aus­bil­dung gehör­ten auch gegen­sei­ti­ge Besu­che der Anwär­ter in in den jewei­li­gen Aus­bil­dungs­schu­len. In einer eher länd­li­chen Gegend bedeu­tet das end­lo­se Fah­re­rei, um dann Stun­den zu beob­ach­ten, zu denen anschlie­ßend alle das Haar in der Sup­pe suchen. Immer­hin gehör­te ein Früh­stück dazu.

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