my two cents

Ler­nen beim Leh­ren – Erfah­run­gen im Teamteaching

Ein aus mei­ner Sicht durch­aus posi­ti­ver Neben­ef­fekt der Inklu­si­on an unse­rer Schu­le ist das Unter­rich­ten im Team.

In den Klas­sen 6 bzw. 8 bis 101 wer­den die Fächer Deutsch, Mathe­ma­tik und Eng­lisch von jeweils zwei Lehr­kräf­ten unter­rich­tet, unab­hän­gig davon, ob auf­grund beson­de­rer Unter­stüt­zungs­be­dar­fe noch eine För­der­lehr­kraft zu einem Teil der Stun­den hinzukommt.

Für mich bedeu­tet das in die­sem Jahr gemein­sa­men Unter­richt mit einer Kol­le­gin in zwei Deutsch­klas­sen im 9. Jahr­gang. Wir waren uns schnell einig, dass wir ech­tes Team­tea­ching woll­ten.2

Dabei ist jeder von uns sicher mit klei­nen Beden­ken in die gemein­sa­me Arbeit gestar­tet. So unter­schei­den wir uns bei­spiels­wei­se deut­lich in Klei­dungs­stil oder Aus­druck und Auf­tre­ten vor der Klas­se.3
Aber wir bei­de haben das mit­ge­bracht, was aus mei­ner Sicht uner­läss­lich für gelun­ge­ne Zusam­men­ar­beit im Klas­sen­zim­mer ist: die glei­chen päd­ago­gi­schen Zie­le sowie Offen­heit für Neu­es und Ande­res. (Ein wenig über sich selbst lachen zu kön­nen und die Bereit­schaft zu Selbst­kri­tik sind sicher auch hilfreich.)

Fehlt die­se Basis, wird ech­tes Team­tea­ching schwer wer­den und die Zusam­men­ar­beit sich wohl eher auf struk­tu­rel­le und orga­ni­sa­to­ri­sche Aspek­te beschränken.

Nach eini­gen Wochen schon stellt sich für mich her­aus, dass die Unter­schie­de zwi­schen mir und mei­ner Kol­le­gin Berei­che­rung sind statt Behin­de­rung. Vor den Schü­lern ste­hen zwei Leh­rer, die trotz ihrer Ver­schie­den­heit an der glei­chen Sache arbei­ten – Fach­un­ter­richt mit sozia­lem Vor­bild inklu­si­ve. Jeder Auf­ruf zur Part­ner- oder Grup­pen­ar­beit ist jetzt mehr als ein­fach nur eine metho­di­sche Abwechs­lung, denn wir leben ja vor, dass Part­ner­ar­beit eine rea­le Arbeits­be­din­gung sein kann.

Über die Vor- und Nach­tei­le aus Sicht der Schü­ler kann ich bis hier nur Ver­mu­tun­gen anstel­len, das Halb­jah­res­feed­back steht noch aus. Nega­tiv ist sicher, dass das Leh­rer­ver­hal­ten für man­che „unüber­sicht­li­cher“ gewor­den ist und dass es weni­ger Mög­lich­kei­ten des Weg­pen­nens Rück­zugs für die Schü­ler gibt. Dafür hat sich die Zahl der erwach­se­nen Ansprech­part­ner ver­dop­pelt – Pro­ble­me wer­den schnel­ler gelöst, das Unter­richts­ge­sche­hen ist ins­ge­samt leben­di­ger geworden.

Der letz­te Punkt steht auch in mei­ner eige­nen Posi­tiv-Lis­te ganz weit oben: Dadurch, dass wir für unse­re Stun­den kein „Dreh­buch“ haben und die Pha­sen nur in bestimm­ten Fäl­len fest unter­ein­an­der auf­tei­len, bewe­gen wir uns weg von einer Plan-Didak­tik hin zu einer eher situa­ti­ven Didak­tik. Manch­mal ergän­zen wir ein­an­der, manch­mal dis­ku­tie­ren wir mit­ein­an­der, manch­mal wider­spre­chen wir ein­an­der. In den bes­ten Momen­ten fin­det dann ein Dis­kurs zwi­schen uns und den Schü­lern um Inter­pre­ta­tio­nen oder For­mu­lie­run­gen statt, der mit­er­le­ben lässt, wie unter­schied­lich Tex­te ent­ste­hen und Tex­te gele­sen wer­den.
Immer geht es dabei um das Ver­ständ­nis der Sache, nicht dar­um, Recht zu haben! Dis­kus­sio­nen über Leh­rer­ver­hal­ten oder irgend­wel­che Feh­ler haben natür­lich vor den Schü­lern nichts zu suchen, aber es bricht mir auch kein Zacken aus der Kro­ne, wenn mei­ne Kol­le­gin einen Recht­schreib­feh­ler in mei­nem Tafel­an­schrieb flugs beseitigt.

Ich genie­ße auch die Erwei­te­rung mei­nes metho­di­schen Reper­toires: Natür­lich bringt die gemein­sa­me Pla­nung ganz neue Ideen auf den Tisch und ich erfah­re von metho­di­schen Umset­zun­gen, die ich bis­her in mei­nem Unter­richt nicht aus­pro­biert habe. Manch­mal ent­steht auch etwas ganz Neu­es, ein­fach nur, weil es jetzt mög­lich ist, wenn man es zu zweit macht.

Etwas schwe­rer (aber eben­so gewinn­brin­gend) war für mich das Ein­ge­ständ­nis, dass auch mei­ne sozia­len Kom­pe­ten­zen aus­bau­fä­hig waren: Nach nur weni­gen Stun­den gemein­sa­men Unter­richts war mir klar, dass ich in Sachen indi­vi­du­el­ler Hil­fe­stel­lung und För­de­rung Nach­hol­be­darf hat­te. Ich stand bis­her immer eher vor­ne zur Hil­fe zur Ver­fü­gung, wäh­rend mei­ne Kol­le­gin in den Arbeits­pha­sen viel mehr her­um­geht und inten­si­ver schaut, ob jemand ins Arbei­ten kommt oder Schwie­rig­kei­ten hat. Nun gehen wir beide.

Natür­lich geht es aber nicht haupt­säch­lich um das Erken­nen und Besei­ti­gen jewei­li­ger Defi­zi­te, ent­spannt wird es da, wo sich unter­schied­li­che Kom­pe­ten­zen ergän­zen. So bin zum Bei­spiel ich zustän­dig für die digi­ta­le Sei­te des Unter­richts, für das Blog oder Bea­mer und Dru­cker im Klas­sen­raum. Auch die digi­ta­le Ver­wal­tung der Noten liegt bei mir.
Dafür kom­men alle krea­ti­ven und künst­le­ri­schen Impul­se und Bestand­tei­le unse­res Unter­richts samt der zuge­hö­ri­gen Mate­ria­li­en von mei­ner Kol­le­gin. Hier bringt jeder ein, was ihm liegt und kann dafür etwas ande­res aus der Hand geben.

Viel­leicht fragt sich jetzt jemand: „Gibt es auch Kri­tik oder wird das jetzt eine Lobes­hym­ne auf para­die­si­sches Teamteaching?“

Ja, es ist eine Lobes­hym­ne auf das Team­tea­ching. Aber nur, weil es hier auf­grund  glück­li­cher Umstän­de ohne gro­ße Schwie­rig­kei­ten gelingt.
Ich bin mir abso­lut im Kla­ren dar­über, dass mir die­se Form der Zusam­men­ar­beit nicht mit jedem mög­lich wäre (und umge­kehrt bestimmt nicht jedem mit mir).
Und wenn Kol­le­gen, denen die Basis glei­cher päd­ago­gi­scher Hal­tung fehlt oder die sich schlimms­ten­falls ein­fach nicht mögen, sich plötz­lich durch äuße­re Umstän­de in einem Team wie­der­fin­den, dann geht es nur auf einer pro­fes­sio­nel­len Ebe­ne und viel­leicht eine Stu­fe darunter.

Und das rei­ne Para­dies ist es auch für uns nicht. Es kos­tet zum Bei­spiel schlicht und ergrei­fend eini­ges mehr an Zeit, sich zusam­men­zu­fin­den, indem man gemein­sam plant und auch gelau­fe­ne Stun­den aus­wer­tet. Mal eben am Sonn­tag­abend den Unter­richt der Woche vor­pla­nen geht da nicht.
Und gemein­sam unter­rich­ten bedeu­tet ja auch, den ande­ren zu beob­ach­ten und beob­ach­tet zu wer­den. Auf ein­mal ist da jemand mit im Raum, der mein päd­ago­gi­sches Han­deln und mei­ne fach­li­che Kom­pe­tenz auf Augen­hö­he beur­tei­len kann. Ich gebe zu, dass ich mich von dem Gedan­ken „Oh je, du kannst dir jetzt als didak­ti­scher Lei­ter kei­ne unper­fek­te Stun­de mehr leis­ten!“ erst habe müh­sam befrei­en müssen.

Inzwi­schen jeden­falls sind die gemein­sam unter­rich­te­ten Stun­den für mich eine klei­ne Insel im Unter­richts­all­tag, auf der ich mit einem Lied auf den Lip­pen an die Arbeit gehe – Mein Lehr­erle­ben sieht nicht immer so aus.


  1. Ab Jahr­gang 6 gilt dies für Mathe­ma­tik und Eng­lisch, ab 8 zusätz­lich für Deutsch.
  2. Ande­re Vari­an­ten des Co-Tea­ching  wie z.B. „one teach, one assist“, „one teach, one obser­ve“, „par­al­lel tea­ching“ oder „sta­ti­on-tea­ching“ wären denk­bar und erlaubt gewe­sen, aber tat­säch­lich gemein­sam zu unter­rich­ten und von der Pla­nung bis zur Refle­xi­on gemein­sam die Ver­ant­wor­tung zu tra­gen und zu tei­len, erschien uns einen Ver­such wert.
  3. Dem O‑Ton der Schü­ler nach ist mei­ne Kol­le­gin „locker“ und ich bin „spie­ßig“.

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