Warum Kahoot!, Plick­ers und Co in meinem Unter­richt keine große Rolle spielen

… und wofür ich sie doch manch­mal einsetze.

Warum Quiz-Apps aus lern­the­o­retis­ch­er Sicht kri­tisch zu sehen sind, hat Axel Krom­mer hier und hier bere­its seit 2013 beschrieben.Wer tiefer in den von Krom­mer geprägten Begriff „pal­lia­tiv­er Didak­tik“ ein­steigen möchte, dem empfehle ich diesen Text.
Ich muss aber gar nicht soweit gehen, um den Ein­satz von Kahoot! und Co infrage zu stellen, ganz beson­ders für meine Fäch­er Deutsch, Poli­tik und Wirtschaft. Dafür genügt die Betra­ch­tung des Phänomens „Quiz­ifizierung“ aus ganz alltäglich­er, unter­richt­sprak­tis­ch­er Perspektive:

Warum über­haupt ein Quiz?

Die didak­tis­che Moti­va­tion und Begrün­dung für den Ein­satz dieser Tools ist in der Regel eine der folgenden:

  1. Aktivierung und Wieder­hol­ung von Vor­wis­sen zu Stun­den­be­ginn (z.B. Vok­a­bel­tests, Lektüre-Fragen)
  2. Wis­sensüber­prü­fung am Ende ein­er Lern-Ein­heit (z.B. ein Quiz zu allen Fach­be­grif­f­en der Einheit)
  3. just for fun

Ein Blick auf das Ver­hal­ten der Schü­lerin­nen und Schüler offen­bart dann aber schnell, dass von den oben genan­nten Zie­len die ersten bei­den durch ein Quiz-Tool – ins­beson­dere einem nor­malen Kahoot! – gar nicht erre­icht wer­den (kön­nen).

Hin­der­nis 1: Klickibunti-Design

Zugegeben, die aus­ge­druck­ten QR-Codes und das App-Design von Plick­ers kom­men noch recht nüchtern daher, aber bei den bun­ten Kacheln von Kahoot! frage ich mich jedes Mal, was die App-Design­er sich dabei gedacht haben mögen.
Das Prob­lem solch­er bunt über­lade­nen Quiz-Apps ist, dass über­flüs­sige Design-Ele­mente für einen Teil der Schü­lerin­nen und Schüler eine unnötige Ablenkung darstellen. Dieser extra­ne­ous cog­ni­tive load muss erst ein­mal über­wun­den wer­den, um über­haupt den eigentlichen Inhalt der Frage und der Antworten erfassen zu kön­nen.
Eben­so wie bei aus­ge­druck­ten Arbeits­blät­tern wäre ein schlicht­es, auf den Inhalt lenk­endes Design auch bei einem Quiz-Tool zielführen­der. Ins­beson­dere für Schü­lerin­nen und Schüler, die sich ohne­hin mit dem Lesen schw­er tun.
Von der nervi­gen Begleit­musik fange ich gar nicht erst an, diese lässt sich ja inzwis­chen glück­licher­weise meist ausschalten.

Hin­der­nis 2: Gut ger­at­en ist nicht gut gewusst

Auf­grund von Schüler-Beobach­tun­gen und Gesprächen über Quiz-Apps mit ihnen wage ich die Behaup­tung, dass diese zu kein­er Form der Wis­sensüber­prü­fung nüt­zlich sind. Die oben genan­nten didak­tis­chen Begrün­dun­gen 1 und 2 wür­den ver­mut­lich ein­er Über­prü­fung im Unter­richt nur sel­ten standhalten.

Das ist allerd­ings weniger ein Prob­lem der Apps, son­dern eines des Quiz all­ge­mein.
Um eine automa­tis­che Über­prü­fung der Schüler-Antworten zu ermöglichen, sind nur sehr eingeschränk­te Fragetypen nutzbar: Sin­gle- oder Mul­ti­ple-Choice-Fra­gen, Richtig-Falsch-Aus­sagen, Kurzant­worten und Zuord­nun­gen inkl. Puz­zle.
Gle­ichzeit­ig ist schon allein durch den Bild­schirm die Anzahl möglich­er Antworten begren­zt, sodass es in den meis­ten Fällen auf max­i­mal vier bis fünf Antwort­möglichkeit­en hinausläuft.

Hat jet­zt eine Schü­lerin oder ein Schüler abso­lut keine Ahnung, bleibt trotz­dem eine aus­re­ichend hohe Wahrschein­lichkeit, die richtige Antwort ein­fach zu rat­en, was dann in vie­len Fällen eben auch ein­fach getan wird.
Enthal­ten die Antwort­möglichkeit­en dazu noch auf­fäl­lige Dis­trak­toren, die es ermöglichen, eine oder zwei Antwort­möglichkeit­en als erkennbar unsin­nig her­auszu­fil­tern, lohnt sich das Rat­en noch mehr.

Die ver­meintlich besseren Kurzant­worten bieten hier auch keine Lösung für eine schnelle Wis­sensüber­prü­fung, da unmöglich alle Antwort­möglichkeit­en voraus­ge­se­hen wer­den kön­nen, um die Schüler­ant­worten automa­tisiert zu bew­erten; in let­zter Kon­se­quenz kom­men dann noch unvorherse­hbare Schreib­weisen auf­grund man­gel­nden Rechtschreib­wis­sens hinzu.Wer es ein­mal testen möchte, kann das in sein­er Klasse an der schein­bar ein­fachen Frage „Wer ist unser Bun­deskan­zler?“ probieren.

Ich als Lehrer kann also im Anschluss an ein Quiz kein­er­lei gesicherte Aus­sage darüber tre­f­fen, ob die über­mit­tel­ten Antworten ger­at­en oder gewusst bzw. nicht gewusst wur­den, reine Vok­a­bel­tests vielle­icht ausgenom­men.Und auch hier stellt sich die Frage, ob im Fremd­sprachen-Unter­richt Vok­a­bel­wis­sen immer automa­tisch gle­ich Vok­a­bel-Rechtschreib-Wis­sen bedeuten muss.
Und damit weiß ich über das wirk­lich vorhan­dene Wis­sen mein­er Schü­lerin­nen und Schüler zum abge­fragten Sachver­halt nicht viel mehr als vor dem Quiz – die zu diesem Zweck einge­set­zte Unter­richt­szeit ist also vergeudet.

Hin­der­nis 3: Fak­ten statt Wissen

Ab diesem Punkt bezieht sich meine Kri­tik vornehm­lich auf die von mir unter­richteten Fäch­er; ich kann nicht let­zt­gültig beurteilen, ob und an welch­er Stelle ein Quiz zur Vok­a­bel-Über­prü­fung im Fremd­sprache­nun­ter­richt doch seine Berech­ti­gung haben mag.

In den von mir unter­richteten Fäch­ern Deutsch, Poli­tik und Wirtschaft geht es mir aber im Kern nicht primär um Fak­ten­wis­sen, son­dern um dessen Anwen­dung zu kreativ­en Zweck­en, zur Pla­nung und Analyse von Hand­lun­gen oder zur Urteils­bil­dung und Reflex­ion.
Und selb­st im Fach Math­e­matik würde mich mehr inter­essieren, auf welchen Wegen die Schü­lerin­nen und Schüler zu ihren richti­gen oder falschen Ergeb­nis­sen gekom­men sind als das Ergeb­nis an sich.

Natür­lich übe auch ich durch mehr oder weniger stumpfes Wieder­holen bes­timmte gram­ma­tis­che Struk­turen, Ebe­nen der Sub­sidiar­ität, Wahlgrund­sätze oder Wirtschaftssek­toren.
Aber dieses fach­liche Wis­sen bildet ja nur die Grund­lage für eine Anwen­dung in neuen und erweit­erten Zusam­men­hän­gen, und dann kann ich auch durch Unter­richts­ge­spräche oder Schüler­texte erken­nen, ob es vorhan­den ist.

Bezo­gen auf den ein­gangs genan­nten Lek­türe-Unter­richt ist es für mich gar nicht so inter­es­sant, ob die Schü­lerin­nen und Schüler in einem Quiz anklick­en kön­nen, wie zum Beispiel die Per­son X die Per­son Y find­et, son­dern anhand welch­er Textstellen sie dies begrün­den, also wie sie den Text inter­pretieren und mit Textbele­gen umge­hen können.

Hin­der­nis 4: Lösun­gen statt Lösungswege

Zu guter Let­zt sug­geriert der häu­fige Ein­satz eines Quiz, dass die Ken­nt­nis einzel­ner Begriffe oder Fak­ten alleiniges Ziel des Unter­richts wäre. Der Weg dahin, das Ler­nen, gerät dann möglicher­weise aus dem Blick.
Für die Schü­lerin­nen und Schüler geht es dann irgend­wann primär um die Frage, ob etwas gewusst wird, und weniger, wie es gel­ernt wer­den kann, oder sog­ar warum es gewusst wer­den sollte.

Was also bei einem Quiz in Kauf genom­men wird, ein Ergeb­nis, egal woher und wie zus­tande gekom­men, würde im Nor­mall­fall keinen Bestand haben, denn dann wären ja in let­zter Kon­se­quenz auch Copy & Paste-Ergeb­nisse von Schü­lerin­nen und Schüler unprob­lema­tisch – Haupt­sache richtig.

Und doch …

Trotz­dem nutze auch ich manch­mal ein Quiz im Unter­richt, meis­tens aber aus Grund Nr.3: just for fun.
Da ich mich seit Jahren erfol­gre­ich weigere, in let­zten Unter­richtsstun­den vor Ferien­be­ginn Filme zu guck­en, aber in diesen Stun­den trotz­dem manch­mal die Luft raus ist, ist ein Quiz mein Kom­pro­miss.
Ein wenig „Wer wird Mil­lionär” zum Erd­kunde-Wis­sen oder ein großes All­ge­mein­bil­dungs-Quiz kön­nen an dieser Stelle dann wenig Schaden anrichten.

Eine andere Möglichkeit ist es, die Schü­lerin­nen und Schüler ein Quiz erstellen zu lassen, aber an den oben genan­nten Kri­tikpunk­ten ein­er Quiz-Didak­tik ändert das auch nicht wirk­lich etwas.

An ein­er Stelle set­ze ich ein Quiz sog­ar ziem­lich häu­fig ein: im Flipped Class­room. Hier dient es aber weniger der Über­prü­fung des Wis­sens als der Hausaufgaben-Kontrolle.

Am Ende gilt wohl wie so häu­fig: Die Dosis macht das Gift.

Ein Kommentar

  • Herr Rau

    So ähn­lich hier. Außer­dem scheue ich inzwis­chen Mate­r­i­al, das ich nicht langfristig ver­wen­den kann, und das ist sowohl bei Software/Webdiensten als auch dem lock­eren Quiz­for­mat an sich ein Prob­lem. Aber wer schöne Dinge damit macht, der soll natürlich.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert