Was für ein Jahr! Im letzten Sommer bin ich stellvertretend in das Schulleiter-Büro umgezogen, im November offiziell Schulleiter geworden, die Amtsübertragung folgte im April, und jetzt sind schon wieder Sommerferien.
Die Fülle an neuen Erfahrungen und neu zu Lernendem war trotz einiger Vorkenntnisse überwältigend und ich habe mir zu selten Zeit genommen, zwischendurch innezuhalten und Rückschau zu halten (und hier im Blog Tagebuch zu führen). Also versuche ich es jetzt mal für ein ganzes Jahr:
Einmal mit alles bitte
Abgesehen von der Einschulungsfeier, die noch mein Vorgänger durchgeführt hat, war in diesem Schuljahr alles drin, glaube ich.
- Ordnungsmaßnahmen-Konferenzen
- Zeugniskonferenzen
- Abhilfekonferenzen
- Gesamtkonferenzen
- Elternbeschwerden über Kollegen, Elternbeschwerden über Kinder (natürlich nie das eigene), Elternbeschwerden über Schulbusfahrer, Elternbeschwerden über mich, Elternbeschwerden über nahezu alles
- Ablehnungsbescheide zu verschiedenen, nennen wir sie mal „interessanten“, Anliegen von Eltern
- Schulveranstaltungen – zuerst zu organisieren, dann als Gastgeber oder Gast zu genießen
- Mitarbeitergespräche jeglicher Art, mal erfreulich, mal weniger
- Vorstellungsgespräche
- Unterrichtsbesuche und dienstliche Beurteilungen
- Reden zu feierlichen Anlässen, Reden zur Verabschiedung von Kollegen, Reden zu Trauerfällen
Termine, Termine, Termine
Die Terminfülle habe ich eindeutig falsch eingeschätzt. Nicht nur, dass sich der tägliche Kalender überraschend schnell mit verschiedenen Anliegen füllt, auch außerschulische Termine mit externen Partnern, verschiedenen Trägern, dem Schulamt, der Behörde und weiteren Gremien oder einzelnen Personen sorgen für ausreichend Beschäftigung auch am Nachmittag.

Routinen
Ich habe mir die Entscheidung, Schulleiter an meiner Schule zu werden, ja nicht leichtgemacht und vorher reichlich Pläne geschmiedet, wie es mir gelingen sollte, mich nicht vom Job verschlingen zu lassen.
Dazu gehörte der Plan, mir im Tag feste Routinen und Strukturen zu schaffen.
Tatsächlich ist es mir es an den meisten Tagen gelungen, morgens nach der Ankunft im Büro zuerst einen Kaffee aufzusetzen und meine tägliche Lektion aus dem „täglichen Stoiker“ zu lesen, dem perfekten Geschenk zum neuen Amt von Thomas.

Aber ab dem Zeitpunkt überstanden die weiteren Routinen nur noch an den wenigsten Tagen den Alltag. Eigentlich hatte ich fest in den Kalender eingetragen, die erste große Pause auf dem Hof und die zweite im Lehrerzimmer zu verbringen. Obwohl mir die Hof-Pause eigentlich die wichtigere gewesen wäre, um auch regelmäßig für Schüler ansprechbar zu sein, war ich in den Pausen wesentlich häufiger im Lehrerzimmer oder aber das halbe Lehrerzimmer war bei mir im Büro.
Für das nächste Jahr stehen diese Pausen aber bereits jetzt wieder fest in meinem Kalender!
Allerdings, und darauf bin ich durchaus stolz, ich habe ich es (bis auf wenige vertretbare Ausnahmen) geschafft, am Dienstag eher zu gehen und meinem Stellvertreter das Feld zu überlassen. Diese Zeit gehörte meiner älter werdenden Mutter und und Einkäufen oder Arztbesuchen mit ihr.
Im nächsten Jahr würde ich gerne noch mehr feste Zeiträume für tägliche und erwartbar wiederkehrende Aufgaben reservieren und diesen Plan dann auch einhalten. Da ich bereits begonnen habe, meine Listen in Todoist nach der Eisenhower-Matrix zu sortieren, versuche ich es zusätzlich mal mit der „ALPEN-Methode“.
Aber der Alltag wird wohl wieder sein eigenes Spielchen spielen …
Herausforderungen
An meinem ersten offiziellen Arbeitstag als Schulleiter, der zudem ein Ferientag war, wurde durch einen unglücklichen Zufall die gesamte digitale Infrastruktur unserer Schule lahmgelegt. Die anschließenden Telefonate und Krisensitzungen mit dem Schulträger, den IT-Beauftragten und anderen boten einen Einstieg nach dem Motto „Schlimmer kann es ja nicht mehr werden”. Zumindest krisenerprobt habe ich mich danach gefühlt.
Auch mit anderen Herausforderungen dieses Schuljahres hatte ich weder gerechnet, noch fühlte ich mich immer bereit dafür. Von kleinen alltäglichen Überraschungen über eine emotional lange nachwirkende Inobhutnahme durch das Jugendamt bis zu einer Abhilfekonferenz nach einem Zeugnis-Widerspruch ganz am Ende war so ziemlich alles dabei.
Aber auch die Schulleitungs-Standards, wie nun auf einmal den Vorsitz in Zeugnis- oder Ordnungskonferenzen zu haben, eine Gesamtkonferenz zu leiten oder die Rede auf der Abschlussfeier zu halten, zähle ich zu den Herausforderungen des ersten Jahres.
Aber: Neben diversen Brief- und sonstigen Vorlagen, die ich für diese Fälle jetzt gespeichert habe, fühle ich mich nun für derartige Ereignisse im nächsten Jahr vorbereitet und gerüstet – ein durchaus gutes Gefühl!
Pausen
Tja, Pausen … Daran arbeite ich noch.
Aber nachdem mir ein Referent auf einer Fortbildung mit den Worten „Das Leben ist zu kurz für schlechten Kaffee” von seiner neuen Kaffeemaschine im Büro erzählt hat, habe ich mir umgehend auch eine besorgt und schaffe es seither deutlich öfter, mich mit einem Espresso vor das offene Fenster zu setzen und fünf Minuten einmal nichts zu tun.


Schlaf
In den ersten Wochen des Schuljahres habe ich geschlafen wie ein Baby. Und so ausgeschlafen war ich doch enorm beruhigt, dass meine Entscheidung wohl tatsächlich die richtige gewesen ist.
Im Verlauf des Jahres gab es dann doch die eine oder andere Nacht, vielleicht auch einige Nächte mehr, in denen die Gedanken an Schule und die Aufgaben des nächsten Tages mir den Schlaf geraubt haben. Besonders vor größeren Ereignissen wie zum Beispiel der Entlassfeier, wenn noch unüberschaubar viel zu regeln schien.
Aber nach diesen Ereignissen habe ich bislang jedes Mal zurück in den Tiefschlaf der Anfangsphase gefunden. Auch das beruhigt mich.
Verantwortung
Was ich unterschätzt habe, war das Ausmaß an Verantwortung, die ich als Schulleiter fühle.
Der Blick auf die Schülerinnen und Schüler, denen man auf den Fluren oder dem Hof begegnet, hat sich verändert, und ich schaue jetzt genauer hin, was für eine Stimmung im Gebäude herrscht.
Auch Erzählungen von Kolleginnen und Kollegen über Partner, Eltern und Kinder haben eine andere Wichtigkeit angenommen. Anders als früher muss und will ich mir auch Kleinigkeiten jetzt merken, bei Gelegenheit einmal nachfragen und bei größeren Schicksalsschlägen mit Gesprächsangeboten und Entlastungen reagieren können.
(Eine der ersten Anschaffungen war übrigens ein Geburtstagskalender.)
Besonders merke ich es aber bei der Postmappe.
Es macht doch einen gewaltigen Unterschied, ob man wie ich in den letzten Jahren mit guten Ratschlägen auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzt, oder eben auf der Seite, auf der unterschrieben werden muss.
Seien es Buchungsanweisungen, Befreiungsbescheide, Ablehnungsbescheide oder Klassenfahrten – wenn man haftet, unterschreibt es sich ganz anders.

Gespräche
Noch etwas, das ich unterschätzt habe: die Anzahl und Bedeutung persönlicher Gespräche.
Meine bisherigen Aufgaben erforderten deutlich weniger Gespräche, vieles habe ich vorzugsweise per E‑Mail geregelt.
Jetzt kosten E‑Mails nicht nur unnötig viel Zeit für all die Kleinigkeiten, die tagtäglich zu regeln sind, sie sind auch nicht mehr das geeignete Mittel.
Das habe ich üben müssen.
Gespräche geplant, kontrolliert und zielgerichtet zu führen, war (und ist? Das werden andere beantworten müssen) nicht meine größte Stärke.
Inzwischen greife ich aber deutlich häufiger zum Telefonhörer als zur Tastatur oder gehe eben schnell ins Lehrerzimmer, um Dinge zu klären.
Besonders wichtig waren mir in diesem Jahr die Mitarbeitergespräche.
Anstatt bei den Kolleginnen und Kollegen offiziell mit anschließender Nachbesprechung im Unterricht zu hospitieren, habe ich jede und jeden zu einem ca. einstündigen Gespräch bei einer Tasse Kaffee eingeladen, um zu hören, wie es geht, was gut läuft, welche beruflichen Perspektiven gesehen werden, und natürlich auch, was für Wünsche es an das Leitungs-Team gibt.
Bisher haben diese Gespräche sehr geholfen, die Stimmung im Kollegium und die Entwicklungs-Möglichkeiten und ‑Notwendigkeiten unserer Schule besser einschätzen zu können; auf jeden Fall etwas, das ich mit einigem Abstand wiederholen werde.
Bei rund 50 Kolleginnen und Kollegen habe ich noch nicht alle Gespräche geschafft, aber noch ein Jahr dauert’s nicht.
Zu knabbern habe ich immer noch an unangenehmen Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen. Seien es nun kleinere Kritik-Gespräche oder welche in offiziellerem Rahmen, hier fällt mir der Rollenwechsel noch am schwersten.
Training on the Job
Als neuer Schulleiter bekommt man in meinem Bundesland eine freundliche Einladung zu einer verbindlichen Qualifizierungs-Fortbildung, bestehend aus von mir ungezählten Online-Veranstaltungen und drei mehrtägigen Präsenzveranstaltungen.
Etwas unglücklich ist dabei, dass ich mir wohl falsche Vorstellungen über „Qualifizierung” gemacht habe. Und so geht es bisher ausschließlich um Mindset, VUCA und BANI, Leadership-Modelle und tatsächlich sogar Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat. Alles natürlich nicht unwichtig und lapidar, aber eher Fundament als Inhalt meiner täglichen Arbeit.
Schön wäre gewesen, etwas über Einstellungsverfahren von pädagogischen Mitarbeitern oder Tarifbeschäftigten im Gegensatz zu verbeamteten Lehrkräften zu erfahren, über Aufgaben rund um Buchhaltung und Schulkonto, dienstliche Beurteilungen, Lehrerstunden-Statistik und Personalentwicklung und all die mit diesen Themen verbundenen Formulare und Fristen, die – Mindset hin oder her – nämlich auf den Punkt genau einzuhalten sind.
Und so bleibt es bei dieser Fortbildungsreihe zumindest für mich bei dem Ergebnis vieler Fortbildungen: Das ertragreichste sind die Gespräche in den Kaffeepausen und ein neues Netzwerk Gleichgesinnter.
Non, je ne regrette rien
In einem Mitarbeitergespräch gegen Ende des Jahres hat mich eine Kollegin gefragt, ob ich meinen Schritt bereuen würde. Ich muss rund um Zeugniskonferenzen und Abschlussfeier wohl etwas ermattet ausgesehen haben.
Meine Antwort kam spontan: „Nein, es war genau richtig.”
Als ich auf dem Heimweg auf dem Rad länger darüber nachgedacht habe, sind mir natürlich die Momente durch den Kopf gegangen, in denen ich mich überfordert gefühlt habe, in denen ich dachte, dass ich so viel Verantwortung nicht tragen kann, vor denen ich eben doch wieder unruhige Nächte hatte. Aber am Ende habe ich all diese Momente doch irgendwie bewältigt – mal geschickter, mal weniger geschickt und erfolgreich.
Aber bereut habe ich meinen Schritt tatsächlich nie.
Und jetzt?
Jetzt sind Ferien. Und auch, wenn die Arbeit natürlich schon vor Beginn des neuen Schuljahres wieder losgeht, geht es erst einmal für zwei Wochen in die Berge – abschalten und durchatmen.




Im August geht es dann mit frischem Mut an ein neues Schuljahr. Und hier im Blog will ich versuchen, das Jahr im Tagebuch regelmäßiger festzuhalten.
Danke für die Einblicke! Aber das hier:
„Eigentlich hatte ich fest in den Kalender eingetragen, die erste große Pause auf dem Hof und die zweite im Lehrerzimmer zu verbringen.”
halte ich für illusorisch. Die erste große Pause jeden Tag??? Oder pro Woche?? Pro Monat? Die Fragezeichen werden mit zunehmender Wahrscheinlichkeit weniger.
Täglich, und ja, das war es auch.😁
Aber eine Weile hat es wirklich gut geklappt und man muss sich ja auch Ziele stecken.
Ich sehe halt sonst mit nur noch vier Stunden Unterricht so wenige Schüler, das fehlt mir.
Habe die Zusammenfassung gerne gelesen und hoffe, daß es mit dem häufigeren Posten klappt. Erst mal erholsame Ferien.